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Gefährdete Nutztierrasse des Jahres: Das Wollschwein

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Wollschweine im Winter (Quelle: Wikimedia Commons)

Seit 1984 ernennt die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Nutztierrassen e.V. eine Rasse zur „Gefährdeten Nutztierrasse des Jahres“, um auf den drohenden Verlust alter Nutztierrassen aufmerksam zu machen. Diese alten Rassen sind oftmals durch den Einsatz neuer, leistungsfähigerer Züchtungen in der Landwirtschaft fast in Vergessenheit geraten, obgleich sie viele Vorzüge besitzen.

Dieses Jahr erhielt diesen Titel schon zum zweiten Mal das Wollschwein, auch als Mangalitza/Mangalica bekannt. Seinen Ursprung hat diese sehr urtümliche Schweinerasse in Ungarn, wo sie bis in die 1950er Jahre hinein sehr weit verbreitet war. Da diese Schweine jedoch langsam wachsen und eine dicke Speckschicht ansetzen, war die Zucht dieser Rasse für Landwirte bald nicht mehr lukrativ, denn auch in Ungarn entwickelte sich die Landwirtschaft in Richtung konventioneller Massenbetriebe. Das fette, durch die länger dauernde Aufzucht zudem noch teurere Fleisch der Wollschweine war nun nicht mehr gefragt, sie wurden durch Hochleistungsrassen verdrängt. Diese wachsen deutlich schneller und setzen wenig Fett an, denn die meisten Verbraucher möchten mittlerweile lieber fettarmes, günstiges Fleisch kaufen.

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Schwalbenbäuchige Wollschweine im Tiergehege Kaisergarten in Oberhausen ( © M. Sobotka)

Tatsächlich war die dicke Speckschicht der Wollschweine ursprünglich eine ihrer größten Vorzüge; sie schützt die Tiere, ebenso wie ihre namensgebenden dichten Borsten, auch vor kälteren Temperaturen. Deshalb können Mangalitzas ganzjährig draußen gehalten werden. Das fettreiche Fleisch war zudem auch eine gute Kalorienquelle für die hart arbeitende Landbevölkerung. Zusätzlich sind diese Schweine sehr genügsam, benötigen also kein spezielles Kraftfutter, dafür wachsen die Tiere aber deutlich langsamer als gewöhnliche Mastschweine. Ein heutiges Mastschwein in konventioneller Haltung braucht nur etwa sechs Monate um sein Schlachtgewicht zu erreichen, ein Mangalitza dagegen benötigt dafür mindestens ein Jahr.

Wollschweine gibt es in drei verschiedenen Farben: blond, rot und schwalbenbäuchig (schwarz mit weißem Bauch). Diese Farben werden, anders als bei vielen anderen Haus- und Nutztierrassen, als eigenständige Rassen geführt und deshalb auch nicht miteinander gekreuzt. Die Ferkel sind gestreift, ähnlich den Frischlingen unserer heimischen Wildschweine, von denen die Tiere auch ursprünglich abstammen. Die Mangalitzas sind neben ihrem lockigen Borstenkleid auch für ihre Gutmütigkeit bekannt.

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Blondes Wollschwein im Tierpark Fauna Solingen

Dem Aussterben konnten die zutraulichen Wollschweine vor allem durch Liebhaberzucht entgehen, doch mittlerweile haben auch einige Landwirte, die auf Freilandhaltung umgestiegen sind, diese Rasse für sich entdeckt. Für diese Art der Schweinehaltung sind die gewöhnlichen Mastschweine nicht geeignet. Sie sind zu anfällig für Krankheiten, die feinen Borsten und die dünne Speckschicht schützen sie nicht vor der Witterung. Tatsächlich hat auch das Fleisch der Wollschweine inzwischen wieder mehr Liebhaber gewonnen, und so ist es heute in einigen Restaurants auf der Speisekarte zu finden. Auch einige Metzgereien verkaufen Mangalitza-Produkte. Die steigende Nachfrage führt dazu, dass es in Europa immer mehr Wollschwein-Züchter gibt, was hoffen lässt, dass diese schöne Schweinerasse uns auch weiterhin erhalten bleibt. Zusätzlich halten einige Zoos inzwischen Wollschweine und machen damit auch auf diese interessanten Tiere aufmerksam.

Die effizienteste Art, Nutztierrassen vor dem Aussterben zu bewahren, ist der Kauf der aus ihnen hergestellten Produkte. Im Falle von Schweinen beschränkt sich das letztlich auf ihr Fleisch. Für überzeugte Veganer und Vegetarier mag dies keine Option sein, und ihnen möchte ich das auch gar nicht aufdrängen. Doch für alle anderen Verbraucher sollte es zumindest einmal die Überlegung wert sein, dieses Fleisch oder das einer anderen seltenen Nutztierrasse zu probieren. Denn zum einen signalisiert man durch Nachfrage für diese Produkte, dass sich die Zucht dieser Tiere nach wie vor lohnt, zum anderen trägt man zu mehr Tierwohl in der Landwirtschaft bei. Denn wie auch die Wollschweine werden die meisten anderen alten Rassen auf landwirtschaftlichen Betrieben gehalten, die nicht auf konventionelle Massentierhaltung setzen und für die Haltung im Freien robuste Tiere benötigen. Natürlich kostet das Fleisch solcher Tiere mehr als das vom Discounter um die Ecke, doch wenn es finanziell möglich ist, sollte es uns das auch wert sein.

Warum sollte man denn überhaupt solche alten Rassen erhalten, wo sie doch viel weniger Leistung erbringen? Zum einen sind sie eine genetische Reserve, und ihre Eigenschaften könnten uns schon bald sehr nützlich werden. Wir wissen nicht genau, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen wird und welche Ansprüche an sie gestellt werden. Eigenschaften wie Genügsamkeit und Robustheit könnten schon bald eine größere Rolle spielen, und diese finden wir in vielen unserer Nutztierrassen. Beschränken wir uns jedoch auf die Zucht von Hochleistungrassen (im Falle der Schweine sind dies sogar meist Mischlinge aus verschiedenen Rassen), verlieren wir viele dieser guten Eigenschaften. Außerdem sind die alten Nutztierrassen bestens an die Bedingungen ihrer Heimat angepasst. Da die Nachfrage für regionale Produkte mittlerweile steigt, eignen sie sich ideal für eine auf regionale Vermarktung ausgerichtete Landwirtschaft. Desweiteren sind sie ein wichtiger Teil unserer eigenen Geschichte, quasi lebendes Kulturgut. Schon allein das sollte uns eigentlich genug Ansporn sein, sie nicht einfach zu vergessen.

 

Danke an Markus Sobotka von Der Zoofotograf für die Bereitstellung des Fotos von den Wollschweinen im Tiergehege am Kaisergarten Oberhausen!
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